In einem Neuköllner Hinterhof, weder versteckt noch verheimlicht, tummelt sich das, was von gestern übrig blieb. Ein Raum voll mit Dingen aus dem letzten Jahrhundert. Dinge, die kein Mensch braucht und jeder will. Dinge, die es vor uns gab und es nach uns geben wird. Einrichtungsgegnstände aus Bahnhöfen, Eckkneipen, Schulen, Arztpraxen und Fabriken. Willkommen bei Urban Industrial.
Ein Regal voller Wunder. Uhren, Lampen, Leuchtreklamen.
Urban Industrials ist ein Wunderland. Museum. Ein Ort an dem man Geschichten lauschen, aber noch eher die Möbel dazu kaufen kann. Industrielle Lampen, wie die von Ikea nur mit Rost und original aus einer deutschen Fabrik. Ein Kinder-Drehkarussell, das aussieht wie von einem DDR-Spielplatz entwendet wurde. Schulstühle bei deren Anblick man sich automatisch fragt, ob man die Hausaufgaben gemacht hat. Immer wieder überdimensionale Bahnhofsuhren. Bleibt die Frage wo zum Henker haben die das alles her?
Ich stehe in einem Ballsaal, einem Club, einem Theater. Links und rechts von mir vier meter hohe Regale. Auf ihnen Stühle, Uhren, Lampen. Genug, um einen Bahnhof in einer kleineren Großstadt auszustatten. Auf den ersten Blick Chaos, auf den zweiten erschließt sich ein Konzept. Ein Bereich wirkt wie eine Turnhalle mit Böcken, Sportmatten und einem alten Boxsack. Ein Anderer Bereich stellt eine Arztpraxis aus dem letzten Jahrhundert nach wo man nicht Patient gewesen sein möchte, ein Dritter macht Lust auf Kino und Knutschen. Am Ende des Raums, hoch über meinem Köpfen, ist eine Bühne in die Wand eingelassen. Hier standen auch schon die Beatles. Die Halle hat mehr Geschichte als der hippe Altbau in dem man haust. 1873 wurde die Halle, damals “Kliems Festsäle” an der Hasenheide erbaut. Bis in die 1920er war es ein Ballhaus, dann ein Arbeitertheater. Hier kämpften Kommunisten gegen Nazis.
Nicht nur die voll beladenen Regale erzählen eine Geschichte. Die ganze Halle flüstert aus der Vergangenheit.
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Es diente als Reha für Soldaten. Als auch der zweiteKrieg sein Ende fand, konnte das Ballhaus wieder Kultur statt Nazis beheimaten.. Zunächst als Kino, ab den 60ern wurde es zum Club umfunktioniert. Dann kamen die Beatles, Prince, Madonna, Bowie. Alle kamen sie her und gingen wieder. Die letzten 10 Jahre stand der Laden leer. Und dann kam Jakob.
Jakob Wagner ist Sammler und Künstler. Er malt gerne – am liebsten ganz offiziell auf die Berliner Mauer. Deswegen brauchte er schon immer viel Platz. Vor drei Jahren zog er sein Sammelsurium aus seinem Studio in ein größeres Lager um, später dann in den Festsaal. Urban Industrial betreibt er mit zwei weiteren Berlinern. Diese lernte er kennen, als er den Keller der Jungs besuchte um Objekte aus deren Bestand abzukaufen.
So spüren sie Einzelstücke auf. Die meisten anderen Sachen finden sie ganz anders. Sie suchen nach alten Fabriken, die schließen oder bereits geschlossen haben. Statt die Einrichtung LKWweise verschrotten zu lassen, kaufen sie die Gegenstände ab. Reusing statt Recycling. Das ist nicht nur nachhaltiger ist, weil weniger Energie aufgewandt wird, sondern hat den Mehrwert, dass wir uns an diese Fundstücke erfreuen können.
Manchmal fahren die drei quer durch die Republik um ihre Schätze einzusammeln. Andere lassen sie sandstrahlen und lackieren. Das sparen sich die Jungs von Urban Industrials. Zuviel Restaurierung tötet den Charakter, die Geschichte des Produkts. Jakob und sein Team stehen zu den Macken und Dellen, zu den rostigen Ecken und den Spuren der Zeit. Sie putzen, bürsten, reparieren sie. Manchmal nehmen sie auch Objekte auseinander. Dadurch entsteht ein riesiges Ersatzteillager, was sie zur Reparatur anderer Produkte wiederverwenden können. Das ist gelebte Nachhaltigkeit und unterscheidet Urban Industrials von anderen Vintage Möbel Händlern.
Von der Einzigartigkeit des Fundus ist nicht nur Jakob überzeugt. Filmemacher*innen und Gastroausstatter*innen, kommen vorbei, lassen sich beraten und kaufen ein. Das Gebäude und die Einrichtung ist so beeindruckend, dass auch regelmässig Anfragen kommen für Fotoshootings und Filmdrehs. In diesem wunderlichen Hinterhof verstecken sich Dinge voller Geschichte. Kommt vorbei und findet sie in der Hasenheide 13.
Öffnungszeiten:
Montag – Samstag: 12 – 20 Uhr
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Stühle über Stühle neben einer alten Leuchtreklame.
Alte Puppenbeine.
Ein altes Karussell, Stapelkisten und ein Regal voller Uhren und Leuchtreklamen.
Schilder und Lampen im Industrial-Look.
erschienen am 10. März 2017