Vom Reisfeld-Idyll zum Backpack-Mekka

Die Welt rückt näher zusammen und die Reiselust brennt heiß unter der Haut der New-Age-Abenteurer. Dass Reisen nicht unbedingt gut für Mensch, Umwelt und Kultur sein muss, lässt sich vielerorts erleben. Dennoch reisen wir - ein Erfahrungsbericht aus Vietnam.

Die Berglandschaft um Sa Pa. Hier leben die Hmong, eine ethnische Minderheit in Vietnam

Mama Pei ist schon seit einer Weile auf den Beinen. Jeden Morgen kommt sie in die Stadt und wartet noch vor Sonnenaufgang darauf, dass sie endlich eintreffen: Die Nachtbusse, die Touristen aus Hanoi, der Hauptstadt Vietnams, in die Berge von Sa Pa karren.

Im Zwielicht hängen Wolkenschwaden nass zwischen den Häusern. Morgens ist es empfindlich kalt in den Bergen und die Nässe kriecht einem unter die Haut. Trotzdem harrt Mama Pei aus. Sie trägt die traditionelle Tracht der Hmong, einer ethnischen Minderheit in Vietnam, handgearbeitet aus Hanf, aufwändig bestickt und mit heimischen Pflanzen eingefärbt. Die etwas mehr als eine Million Hmong leben in Vietnam fast ausschließlich in der nördlichen Grenzprovinz Lao Cai. Wo sie ursprünglich herkommen ist nicht genau bekannt, die meisten leben jedoch in China.

Lautes Hupen und das Aufjaulen des Motors kündigen den Nachtbus aus Hanoi an. Es ist halb fünf morgens als Mama Pei auf den Bus zutritt, aus dem sich zerknitterte Rucksacktouristen ergießen. Schlecht gelaunt, noch halb verschlafen, mit verzogenem Rücken von einer Nacht in viel zu kleinen Schlafsitzen der Busse, sammeln die Backpacker ihre Rucksäcke aus dem Laderaum des Busses zusammen.

Freundlich lächelnd versucht Mama Pei die trübe Dreinblickenden, mit ihrem gebrochenem Englisch in ein Gespräch zu verwickeln. „Good morning, you had good drive? I have room for you, please.“

Mama Pei beim Sticken. Die Hmong fertigen ihre Tracht selbst. Die Fasern werden aus Hanf hergestellt.

Zwischen Hühnern, Reisschnaps und lokal Spezialitäten

Wie viele aus ihrem Dorf in den Bergen versucht Mama Pei Touristen davon zu überzeugen einen authentischen Aufenthalt in ihrem Dorf zu erleben. Bei ihr zu Hause, in einer Holzhütte mit Lehmboden, kleinem Garten, Hühnern, Reisschnaps und Frühlingsrollen.

Seit Jahren boomt die Tourismusbranche in Vietnam. Reiseagenturen hatten angefangen Individualreisende in die, um Sa Pa liegenden Bergdörfer zu entführen. Was klein begann ist schnell – wie bei allen touristischen Zielen – zum Massenpilgern von Rucksacktourist*innen verkommen. Klar, dass die – meist aus sehr ärmlichen Verhältnissen stammenden – Hmong eine Scheibe vom Kuchen abhaben wollen. So kommt es, dass sich Mama Pei und so manch Andere aus ihrem Dorf früh morgens auf den Weg nach Sa Pa machen, um ein paar Touris zu fangen. Das bessert die Kasse auf und ist leichter als den lieben langen Tag auf dem Feld im Schlamm zu stehen und Reissaat auszuwerfen.

Wer sich dazu entschlossen hat mit Mama Pei eine authentisch, individuelle Reiseerfahrung zu machen, läuft mit ihr zum Dorf. Es geht durch die Berge, mit malerischem Ausblick, vorbei an kleinen Teehainen und viel Plastikmüll. Ja genau. Unbekümmert-frech drapieren Touristen und Einheimische Chipstüten, Plastikflaschen und Kekspackungen am Wegrand.

Der Wanderstau der Einzelgänger

Wenn es dann etwas steiler bergauf geht, kann es schonmal sein, dass man sich am Berg anstellen muss. Schließlich wollen viele individuelle Einzelgänger in die Bergdörfer von Sa Pa. Nach etwa vier Stunden Fußmarsch – je nachdem, wie schnell die Vorangehenden klettern können – erreicht man Mama Pei´s Haus. Inmitten von Reisfeld-Idyll und Bergpanorama. Die Hütte besteht aus einem Raum mit gestampften Lehmboden, ohne Fenster. Die ganze Familie schläft darin zusammen. Mama, Papa, die drei Kinder und natürlich der Rucksacktourist.

Keine Elektrizität, kein warmes Wasser aus dem Hahn, selten ein Motorgeräusch, kein Fernseher. Hierhin kann man von der Hektik der globalisierten Welt flüchten. Nur Mama Pei sitzt an ihrem Smartphone, surft im Internet und checkt ihre E-Mails – über das W-Lan der Nachbarn. Welch ein Idyll.

Westliche Einflüsse verändern Kulturen

Kontraste wie diese entstehen überall auf der Welt. Westliche Einflüsse treffen zwangs Globalisierung auf Kulturen, in denen vor wenigen Jahrzehnten noch keine elektrische Lampe zu finden war. Mit ihnen kommt der Müll, die Hektik und der Ehrgeiz westliche, vermeintlich bessere Standards zu erreichen. Ob der Massentourismus mit seinen Billighotels, Elektogadgets, Abenteuertouren, Homestays und Individualtouristen gut für die Umwelt und Kultur der Region ist?

Aufhalten lässt er sich nicht und zumindest Mama Pei scheint zufrieden. Ihr Geschäftsmodell geht auf. Wer ein paar Nächte bei ihr verbracht hat, kehrt erholt nach Sa Pa zurück – mit der Bitte im Gepäck jedem vom unvergleichlichen Aufenthalt bei Mama Pei zu erzählen.

Unterdessen steht Mama Pei wieder am Busbahnhof und wartet auf die nächsten Gäste. Der Himmel ist klar und Sterne funkeln noch leicht in der Dämmerung. Ein krähender Hahn kündigt den Morgen an, kurz bevor das Motorengeräusch die Bergidylle durchbricht. Mit dem Versprechen von nicht enden wollenden Strömen Individualreisender.

 

erschienen am 14. Februar 2017

 

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